Objekt des Monats

Jedes Objekt in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses erzählt eine ganz persönliche Auswanderungs- oder Einwanderungsgeschichte. In dieser Rubrik stellen wir Ihnen jeden Monat ein anderes Objekt vor – eine Fotografie, ein Dokument oder ein persönliches Erinnerungsstück.

April 2024

Fliese mit einer Abbildung der "Arosa Star", ca. 1956

Größe

15,3 x 15,3 x 1,0 cm

Material

Porzellan

Schenkung

Archie Stocker

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Kurzbiographie

Archie Stocker ist gerade 11 Jahre alt, als er sich 1947 gemeinsam mit dem zwei Jahre älteren Bruder aus seinem Zuhause im Bergischen Land fortschleicht, um Deutschland zu verlassen. Die Brüder locken das Abenteuer und die Kanadischen Wälder. Sie kommen bis Osnabrück, wo sie schließlich von der Polizei aufgegriffen und wieder nach Bergneustadt zu ihren Eltern zurückgebracht werden. Archies Traum von Kanada lebt jedoch weiter und so lässt er sich neun Jahre später, im Dezember 1956, endlich in Bremerhaven Richtung Quebec City einschiffen. Die stürmische Atlantiküberquerung an Bord der „Arosa Star“ bleibt ihm unvergessen. Sie ist der Beginn einer bewegten Auswanderungsgeschichte.

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In Kanada angekommen verdingt sich der junge Mann zunächst als Arbeiter in einer Kleidungsfabrik in Vancouver. Doch in der Stadt möchte er nicht bleiben: Er „wollte mehr von der Schönheit British Columbia´s erleben“, wie Archie selber sagt. So nimmt er in den folgenden Jahren verschiedene Jobs an, zunächst in den Wäldern im 96km entfernten Garibaldi als Tellerwäscher in einem construction camp, dann als Angestellter in einem Kramladen mit Poststelle. In seiner Freizeit ist Archie dabei stets abenteuerlustig: Er geht Fischen, macht Klettertouren und erkundet die Landschaft. Schließlich verschlägt es ihn 1961 nach Graham Island, eine der Hauptinseln von Haida Gwaii im Nordwesten British Columbias. Hier arbeitet er zunächst in einer Sägemühle, dann in einem Holzfällerlager, wo er Maschinen bedient und die schweren logging trucks mit Baumstämmen fährt.

Auf Graham Island, knappe 750 Kilometer von Vancouver entfernt, lernt er Elizabeth („Liz“) kennen, die Angehörige der indigenen Gruppe der Haida ist. Archie und Elizabeth heiraten 1964 und werden Eltern von fünf Kindern. Bis heute lebt Archie Stocker auf Graham Island, seinem „Paradies am Rande der Welt“.

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Bedeutung des Objekts

Die Porzellanfliese dient Archie Stocker als Souvenir an die turbulente Atlantiküberquerung auf der „Arosa Star“, mit der sein neues Leben in Kanada begann. Er erinnert sich an die dramatische Schiffsfahrt:

«Nachts schlug der Sturm mit voller Kraft zu. 6. Dezember: Aus einem unheilvoll drohenden schwarzen Himmel heulten die entfesselten Furien auf uns herab. Das Schiff bäumte sich auf, bockte und rollte im Kampf gegen die gewaltigen Wasserberge, die mit solcher Kraft auf das Deck krachten, daß der Schiffsrumpf unter dem Aufprall erzitterte und ächzte. Es herrschte große Panik. Wir hatten mitten auf dem Atlantik einen heftigen Zusammenstoß erlitten! Schreie wie „Eisberg!“ ertönten. Das war doch wohl unmöglich? Sofort nach dieser unerklärlichen Erschütterung legte sich das Schiff schwer zur Seite. Passagiere rollten auf dem Fußboden entlang, vergebens nach einem Halt greifend. Und draußen brach die Hölle los! […] Es wurde uns erklärt, daß zwei gewaltige Wellenberge aus verschiedenen Richtungen vor dem Bug zusammengeschlagen waren und die Arosa Star war in diese wie in eine Felswand hineingepflügt! […] Da bäumte sich das Schiff wieder auf. Die Treppen ragten übersenkrecht in die Höhe, als wollten sie sich überschlagen. Alle fielen herunter und landeten auf den unteren Stufen. Neue Verletzte! »

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Historische Einordnung

Die Geschichte der „Arosa Star“ erzählt von schwerem Seegang, Havarien und Schiffbruch. Das Dampfschiff läuft ursprünglich 1931 unter dem Namen „Borinquen“ vom Stapel und dient bis 1970 verschiedenen Reedereien unter verschiedenen Namen als Auswander:Innen-, und Kreuzfahrtschiff sowie als Truppentransporter der US-Marine.Besonders auf den transatlantischen Auswanderungsfahrten zwischen 1954 und 1958 gerät die „Arosa Star“ durch schweren Seegang immer wieder in Turbulenzen. Davon wissen viele Passagier:innen zu berichten.

Zeuge eines schweren Unglücks auf See wird die „Arosa Star“, die zu diesem Zeitpunkt unter dem Namen „Bahama Star“ fährt, als sie am 13. November 1965 auf dem Atlantik nahe Panama zur Rettung von Schiffsbrüchigen heraneilt. Die Katastrophe ereignet sich auf dem Passagierschiff „Yarmouth Castle“, das in Brand geraten war. Knapp 460 Menschen können durch die „Arosa Star“ und ein weiteres Schiff gerettet werden, weitere 90 Menschen lassen in Folge des Brandes ihr Leben.

Das letzte Kapitel in der Geschichte der „Arosa Star“ beginnt am 13. April 1970, als sie vor der Küste von Kalifornien vor Anker liegt. Ein Orkan erfasst das Schiff, das nun „La Jenelle“ heißt, drückt es an Land und bringt es zum kentern. Am Strand versandet der ehemalige Ocean Liner und kann nicht mehr gerettet werden. Bis heute liegen Reste des Schiffswracks vor dem Strand von Port Hueneme.

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Haben auch Sie …

… eine Aus- oder Einwanderungsgeschichte Ihrer Familie zu erzählen und möchten diese mit den dazugehörigen Objekten und Dokumenten dem Deutschen Auswandererhaus für seine Sammlung übergeben? Dann kontaktieren Sie bitte Dr. Tanja Fittkau unter der Rufnummer 0471 / 90 22 0 – 0

oder per E-Mail unter: t.fittkau@dah-bremerhaven.de

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